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Interview mit Jürg Stahl (Nationalratspräsident 2017 und 17er)

 

Am Tag seiner Wahl zum Nationalratspräsidenten begleiteten die 17er Jürg Stahl in Brütten … Aus drei Portern mit 17 Paras wurde ein Follow an den Himmel gezaubert und anschliessend ein Geschenk überbracht. Am 22. September 2017 konnte eine kleine Delegation des Vorstandes von behind17 den Nationalratspräsidenten im Bundeshaus zu einem Interview treffen:

 

Geschätzter Tschüge; vielen Dank, dass wir dich hier im Bundeshaus zu einem Interview treffen können. Vorgestern war Bundesratswahl, sicher ein sehr spezieller Tag in deinem Jahr als NR-Präsident. Kannst du uns deinen Tagesablauf seit vorgestern Morgen, oder sagen wir seit vorvorgestern Abend (Nacht der langen Messer) beschreiben? Was macht der NR Präsident, was sind/waren deine Aufgaben im Bereich der Bundesratswahl?

Zuerst herzlich willkommen euch (am Tag 1 nach dem Faustschlag von Constantin, welcher mich seit heute Morgen stark beschäftigt…), ich habe immer Freude, wenn mich Personen in meinem Büro besuchen, die mich in meinem Leben begleitet haben. Es ist ein temporäres Büro bis zum 27. November dieses Jahres und ich sage, wer hier hereinkommt. Danach räume ich dieses Büro und dies ist auch gut so. Es ist ein Privileg, dieses Amt und dieses Büro inne zu haben; ebenfalls war es ein Privileg und auch eine Überraschung, dass eine Bundesratswahl in meine Zeit fiel. Du sprichst die Nacht der langen Messer an – ein Mythos, den es gibt, die Nacht, dieser Abend hat stattgefunden, es ging aber eher gemächlich zu und her. Schlussendlich ist es ein normales Wahlgeschäft, bei welchem die Temperatur etwas steigt, das ist klar, aber soweit nichts Ausserordentliches. Es gibt ein Drehbuch mit insgesamt 19 Seiten für diesen Tag, in welchem von der Verabschiedung des abtretenden Bundesrates bis zur Vereidigung des neuen Bundesrates alles geregelt ist. Ebenfalls sind alle Eventualitäten darin aufgeführt und wie ich und die Versammlung sich dann zu verhalten haben. Grundsätzlich geht es um die korrekte und saubere Führung Bundesversammlung, um Ruhe zu bewahren und wie erwähnt darum, auf Eventualitäten vorbereitet zu sein (Evakuierung, Störung, Sitzungsunterbruch etc. – dies war alles nicht im Einsatz). Für mich war es ein spezieller Moment, Ignazio Cassis für die Annahme der Wahl ans Rednerpult zu bitten – ein Tag, eine Wahl, die dann früher fertig war, als viele gemeint hatten. Auf die Frage, wieso es so schnell ging, antwortete ich den Journalisten, dass eventuell die Gelassenheit des NR-Präsidenten ansteckend gewirkt habe (lacht).

 

Wie sieht der normale Tagesablauf des NR-Präsidenten während der Session aus? Was sind die Hauptaufgaben?

Grundsätzlich muss ich gut vorbereitet sein für den täglichen Ablauf im Nationalrat. Ich muss die Dossiers in der Grundausrichtung kennen – nicht im Detail, aufmerksam den Betrieb begleiten, steuern und beobachten. Weiter leite ich die Abstimmungen. In den vier Sessionen habe ich etwa 980 Mal abstimmen lassen im Rat. Insgesamt geht es sehr ruhig zu und her im Rat – ruhiger als auch schon. Unser Land befindet sich aber auch gerade in einer recht stabilen Lage im Vergleich mit dem Ausland, wenn man sich nur schon die diversen Terroranschläge in ganz Europa im 2017 vor Augen hält …

 

Und ausserhalb der Session, was sind die Unterschiede zu einem normalen NR Jahres?

Es sind viele Repräsentationsauftritte / Besuche im In- und Ausland. Man bekommt viele Einladungen, es sind bis zu 1700 Einladungen (die Zahlt wurde von der Red. um 200 auf 1700 angehoben) die man erhält. Dies führt dazu, dass man rasch priorisieren und auch viele Einladungen absagen muss. Man kann problemlos jeden Tag irgendwo ein oder mehrere Referate halten. Ich versuche dies oft auch örtlich logisch zu gestalten, damit ich mehreren Verpflichtungen nachkommen kann. Zu den Referaten ist zu sagen, dass es meistens „leichte Kost“ ist: wo der NR-Präsident auftritt, ist meist Harmonie gefragt, es geht nicht darum, zu schlichten oder dass ich an einem Anlass zu einem kontrovers diskutiertem Thema Stellung nehmen muss. Weiter halte ich Kontakt zum Bundesrat und bin mit der Führung der Parlamentsdienste betraut, dies sind ca. 340 Personen.

 

Hast du vor allem Repräsentationsaufgaben, bist der erste im Saal? Wo hast du einen Hebel im Parlament. Was ist die Stellung gegenüber dem Ständerat?

Es ist ein Ausbalancieren von straffer Führung und Sitzungen kommentarlos laufen zu lassen. Ich habe Instrumente dazu, kann den Rednern auch das Mikrofon abstellen, das wissen die Parlamentarier. Dies musste ich aber nie anwenden. Ich habe eine Glocke, die ich einmal gebraucht habe, um Ruhe in den Saal zu bringen. Es ist insgesamt ein Geben und Nehmen und ich denke, es ist mir in meiner Zeit offenbar gut gelungen, die Sitzungen des NR ruhig zu führen. Manchmal war es mir aber fast zu ruhig, ich bin schon der Meinung, dass ein Parlament auch leben darf und man Sachgeschäfte kontrovers und auch lautstark diskutieren darf. Es ist wichtig, dass in einer Demokratie offen diskutiert und „gschnoret wird“. Zum Ständerat pflege ich einen partner-schaftlichen Umgang, kleinere Diskussionen über die Wichtigkeit der beiden Kammern sind normal und zu Ivo Bischofberger, dem Ständeratspräsidenten, pflege ich einen sehr guten und regen Austausch.

 

Was waren die schönsten Momente in deinem bisherigen Jahr / was die schwierigsten?

Es ist Vielzahl und Vielfalt der Aufgaben des Amtes, was es auch schön macht. Sicher auch die interessanten Besuche im Ausland bspw. in Island oder auch in Russland, wo ich ständig vier Bodyguards um mich herum hatte. Auch viele sehr emotionale Momente die man erlebt und Geschenke, die man erhält. Etwas vom Schönsten war sicher der Empfang in Brütten, meiner Heimatgemeinde, wo alles viel zu rasch ging, man es auch noch nicht richtig geniessen kann. Als mir Thomas in meiner Wohngemeinde im Namen der 17er die 17er Glocke überreichte, das war echt schön und berührte mich auch. Zu den eher schwierigeren Momenten gehörte sicher die Abstimmung über die Rentenreform im NR. Auch kommen Ver-pflichtungen dazu wie an Abdankungen von ehemaligen NR-Präsidenten dabei zu sein. Im Rat selber gab es aber wenig Vorkommnisse, die mir als negativ in Erinnerung bleiben werden. Insgesamt gab es zudem wenige Begegnungen in meinem Jahr, vielleicht zwei maximal drei Mal, die von einer mangelnden Wertschätzung und wenig Respekt vor der Institution Bundesversammlung und dessen Präsident geprägt waren.

 

Was gibst du deinem Nachfolger / Nachfolgern mit auf den Weg; auf was muss der nächste NR Präsident besonders Acht geben.

Was ich ihm sicher geben werde, ist der Schlüssel dieses Büros – damit hat es sich dann aber auch. Ich habe es immer mühsam gefunden, wenn mir Altpräsidenten irgend-welche weise Ratschläge und Tipps geben wollten. Darum werde ich eher zurückhaltend sein, aber er wird das sicher auch gut machen.

 

Die Armee wird im Parlament oft recht kontrovers diskutiert und bspw. bei Rüstungsgeschäften kritisiert, wenn es darum geht, Geld zu sprechen. Wie sieht deiner Meinung nach die Innensicht des Parlamentes aus: ist das oft "nur" Parteipolitik und man probiert auf Kosten der Armee, die eigenen Geschäfte vorwärts zu bringen und die Armee steht im grossen und ganzen noch gut da, oder hat die Armee allgemein als Institution einen schlechten Stand im Parlament?

Aus meiner Sicht hat die Sicherheitspolitik aktuell einen hohen Stellenwert und es ist einfacher als auch schon, finanzielle Mittel freizugeben. Die Armeegeschäfte sind aber oft ein Gerangel um Parteipositionen, das ist schon klar. Ich stelle aber fest, dass aktuell die linke Ratshälfte nicht immer kategorisch die Gegenposition ergreift, aber gewisse Spielereien in Armeedebatten sind immer spürbar. Es ist aus meiner Sicht schade, dass nicht mehr viele Parlamentsmitglieder die Armee von der Pike auf kennen; geschweige heute noch eingeteilt sind, da bin ich eine Ausnahme. Ganz generell ist Sicherheit für uns alle ein Bedürfnis – wie sie gemacht wird, wird unterschiedlichst beurteilt. Jedoch kann die Institution Armee aus meiner Sicht weiterhin auf Unterstützung im Parlament zählen.

 

Wo siehst du Handlungsbedarf bei der Armee gegenüber dem Parlament. Besteht einer und wenn ja, was müsste die Armee ganz generell anders angehen und betreffend Agieren auf dem politischen Parkett?

Sie muss weiterhin die Arbeit gut machen und versuchen, Vorkommnisse (auch Skandale) zu verhindern. Sie muss mutig die "Türen öffnen“ und zeigen, was sie kann. Das sollte vermehrt und ganz sachlich, ohne zu übertreiben gemacht werden. Der Trend ist da, dass man zur Armee steht, es gibt sehr viele junge Menschen, die stolz auf die Armee und auch auf ihren geleisteten Dienst sind. Ganz allgemein ist Sicherheit zu gewährleisten eine der wichtigsten Staatsfunktionen und das wird auch so bleiben.

 

Ganz ein anderes Thema: Unsere Glocke. Hat sie den Platz auf dein Pult gefunden oder hast du die offizielle Glocke benutzt und die 17er NR-Glocke fand an einem speziellen Ort Platz? Was hatte sie dieses Jahr für eine Bedeutung?

Ich habe mich ausserordentlich gefreut über diese Glocke! Sie begleitet mich an viele Anlässe und Referate und repräsentiert so die Bundesversammlung und das Parlament gegen aussen. Sie war bspw. am 1. August an fünf Ansprachen dabei. Im Rat benutze ich gemäss dem offiziellen Protokoll die Originalglocke, ich habe mich aber ent-schieden, mit meiner 17er Glocke meine letzte Ratssitzung schliessen. Sie ist eine Art Maskottchen mit vielen Emotionen – die Glocke kam ja mit 17 17ern aus der Luft als tolles Geschenk zu mir und symbolisiert für mich auch den hohen Stellenwert der Kameradschaft und den Zusammenhalt. Die Glocke hat zusammen mit dem Buch zudem einen prominenten Platz in meinem Büro und ist so für die Besucher hier drin omnipräsent.

 

Was war der überraschendste oder auch erfrischendste Moment (WOW Effekt oder so…) in deinem Jahr?

Als Vinz (ein Athlet unserer Schweizer Equipe bei den Special Games) mir in meinem Büro, zusammen mit anderen Athleten ein Geschenk überbrachte, dabei spontan zur 17er Glocke griff und eine Kurzansprache hielt (Vinz hat das DownSyndrom).

 

Was war der lustigste Moment (Anekdote oder so) in deinem Jahr?

Vielleicht als ich eine Grussbotschaft halten sollte und in meiner Innentasche des Vestons die "falsche" Ansprache dabei hatte... es klappte mit viel Improvisation glaube ich ganz gut – offenbar hat es niemand bemerkt...

 

Was war dir besonders wichtig, was wolltest du den Ratsmitgliedern mitgeben und hast du dieses Ziel erreicht?

Spontan: etwas mehr Gelassenheit tut uns allen gut. Ich habe das Gefühl, dass ich dies vermitteln konnte.

 

Hat dir deine 17er Vergangenheit / dein „17er Sein“ für das Amt oder auch als Politiker geholfen, wenn ja, in welcher Art?

Ja, immer wieder! Ich denke, das hilft einem vor allem im Leben, aber auch hier drinnen (Anm. der Red. Im Rat als Politiker). Der ganze militärische Rucksack, vorbehaltene Entschlüsse fassen, das Sicherheitsbewusstsein allgemein, den Gesamtüberblick zu wahren etc. etc. das alles hilft immer wieder. Ich finde, „der 17er“ hat mich extrem geprägt auf dem Weg hierher. Am Schluss war es vielleicht meine Vielseitigkeit als Zehnkämpfer in mir und die Werte der 17er, die mich schlussendlich hierher gebracht haben. Zudem habe ich mich sehr oft an meine "aktive" Militärzeit in der Kp 17 erinnert (schmunzelt).

 

Als SVP Politiker vertrittst du gewisse Werte und Normen. Was für Werte sind dir auch rechts und links der SVP Linie ganz persönlich wichtig?

Wertkonservativ sein, dabei Weltoffenheit leben und weitblickend zu agieren ist mein Credo – dies ganz unabhängig von meiner Parteizugehörigkeit.

 

Wo ortest du Stärken in der CH Gesellschaft, was macht uns, die Schweiz stark? Wo haben wir Potenzial, noch Luft nach oben?

Dass wir nicht von einzelnen (Macht-) Menschen abhängig sind. Die Schweiz ist ein Kollektiv. Es gibt tausende von Menschen, die tagtäglich mit ihrer unspektakulären und zuverlässigen Arbeit die Schweiz ausmachen – und mit Arbeit meine ich nicht nur die Tätigkeit am Arbeitsplatz, sondern auch davor und danach in der Familie, im Freundeskreis, in Institutionen, Vereinen und/oder im Quartier.

 

Wie funktioniert das 17er Binom Adrian Amstutz und Jürg Stahl im Parlament? In der Vergangenheit und speziell in diesem Jahr, wo du NR-Präsident warst? Ist es im Rat ein Thema, dass zwei 17er SVP Politiker in prominenten Positionen im Parlament vertreten sind?

Manchmal bin ich überrascht, ja schon fast erschüttert, wie wenig die Leute von einem wissen. Gut, Adrian und ich sind auch nicht die, welche es an die grosse Glocke hängen, dass wir 17er sind. So diskret, wie wir als 17er unsere Fähigkeiten einsetzten, war es nicht erstaunlich, dass es kein Thema war, aber wenn wir einmal davon erzählten, dann war das Staunen gross. Das Binom funktionierte einfach und sehr gut, wir haben schon ein blindes Verständnis füreinander. Dass wir beide fast gleichzeitig aus zwei wichtigen Ämtern ausscheiden, ist irgendwie auch symbolisch.

 

Was reizt Dich als nächstes nach dem höchsten Amt im Parlament?

Das ist klar: als Präsident von Swiss Olympic an der Spitze der Schweizer Sport Familie zu stehen und weiterhin versuchen, gute Geschichten mitzuprägen – und die Olympischen Winterspiele 2026 in die Schweiz zu holen. Reizen tut mich auch ein Engagement in der Bildungslandschaft.

 

Du bist als 17er im 2017 NR Präsident. Um die 20 voll zu machen, hast du Ende Jahr drei Wünsche für den Rat oder auch die Schweiz. Was wäre auf deiner Liste?

Dass das politische System, wie es aktuell institutionalisiert ist, beibehalten wird. Beispielsweise finde ich den jährlichen Wechsel des Präsidiums und auch des Bundes-präsidenten sehr wichtig. Dann als zweiten Wunsch, dass wir die Olympischen Winterspiele 2026 in die Schweiz zurückzubringen. Zuletzt „Glück“ symbolisiert durch diesen Würfel (Tschüge übergibt uns sein NRP Geschenk: einen Stahlwürfel). Der Würfel ist wie die Schweiz: er ist vielseitig, hat Ecken und Kanten, raue und glatte Flächen. Er hat Gewicht, wie die Schweiz, auch im Ausland, trotz unserer Grösse und Bescheidenheit. Der Würfel ist aber auch Symbol des Glücks: wenn du würfelst, weisst du nicht auf welche Seite der Würfel fällt. Ich wünsche euch und allen 17ern viel Glück und das wünsche ich auch unserem Land!

 

Was ist dein 17ter Wunsch?

Dass wir auch beim nächsten 17er NRP noch eine so starke, verschworene und zuverlässige Einheit sind, wie ich sie seit 30 Jahren erleben darf!

 

Abschlussfrage eines ehemaligen Rekruten von dir aus der RS 1993 (Anm. der Red. Name des Rekruten bekannt…): „Lieber Tschüge, in meiner RS musste ich wegen dir Liegestütze machen und drei Mal um den Hangar rennen, weil ANGEBLICH mein Sturmgewehr nicht sauber war…! Hast du nun endlich eine Brille und wie willst du das wieder gut machen?“

Lieber Gilles, dies war offensichtlich ein sehr prägendes Erlebnis für dich, dass du dies so viele Jahre nachher noch präsent hast. Ich entschuldige mich nicht dafür, da ich denke, dass ich recht hatte (schmunzelt). Das mit der Brille ist jedoch erfüllt, ich habe mittlerweile eine. Ich habe sie auf den 45. Geburtstag von meiner Frau erhalten, da sie es leid war, mir ständig die Speisekarte vorzulesen. Zuletzt das mit der Wiedergutmachung, dies überlasse ich Manu und Thomas, dass wir das irgendwann bei einem Treffen möglichst unbürokratisch bereinigen können.

 

Lieber Tschüge, ganz herzlichen Dank für dieses Treffen und dieses Interview!

Der Nationalratspräsident 2017 Jürg Stahl hat das letzte Wort! Er läutet unsere 17er Glocke und spricht: Die Sitzung ist geschlossen!

 

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