Stadi-Interview

 

«Winterthur hat mich politisch stark geprägt»

Der neue Nationalratspräsident Jürg Stahl wuchs in Winterthur auf. Wie ihn diese Zeit geprägt hat und was er von seinem Amtsjahr erwartet, verrät der SVP-Politiker im «Stadi»-Interview.

 

Was bedeutet Ihnen das Amt des Nationalratspräsidenten?

Jürg Stahl: Es ist für mich eine grosse Ehre. Ich habe einen grossen Respekt vor dem Amt. Noch grösser ist mein Respekt aber vor der Demokratie dieses Landes, vor unseren Errungenschaften. Mein Dank geht an die Bevölkerung, die zum Erfolgsrezept Schweiz tagtäglich beiträgt. Jeden Einzelnen würdig zu vertreten, der sich für unsere Gesellschaft einsetzt, ist mir ein wichtiges Anliegen in meinem Präsidialjahr.

 

Welche politische Botschaft wollen Sie in Ihrem Jahr verbreiten?

Einer für alle, alle für einen. Dieser Grundsatz ziert die Kuppel unseres Bundeshauses und ist, geschichtsträchtig wie zukunftsweisend, meine persönliche Zauberformel. Der eidgenössische Gemeinsinn ist Symbol für die Willensnation Schweiz. Familiäre Verbundenheit, politischer Zusammenhalt, kameradschaftliches Füreinandereinstehen, sportlicher Teamgeist, freundschaftliches Miteinander und ehrenamtliche Vereinsarbeit haben mich stets begleitet. Diese Botschaft werde ich als Nationalratspräsident mit Stolz und Überzeugung in der Schweiz und im Ausland vertreten.

 

Was bereitet Ihnen Sorgen?

Ich habe einen grossen Respekt vor Ereignissen, die nicht planbar sind. Ich will den Teufel nicht an die Wand malen, aber schlimme Naturkatastrophen oder Terroranschläge werden uns auch in den nächsten zwölf Monaten beschäftigen. Da gilt es, als Präsident die richtigen Worte in diesen schwierigen Zeiten zu finden. Doch das traue ich mir zu.

 

Sind Sie mit dem erzielten Ergebnis von 157 Stimmen zufrieden?

Ich lege nicht allzuviel Wert auf diese Zahl, ist diese doch immer nur eine Momentaufnahme. Bestimmt stimmten einige meiner Ratskolleginnen und -kollegen auch wegen meiner Partei nicht für mich. Aber auch wenn jemand ein persönliches Problem mit mir haben sollte, respektiere ich den Entscheid. Wichtig ist es mir nämlich, dass jeder die Meinung vertritt, von der er überzeugt ist und für die er auch gewählt wurde.

 

Sie werden oft als «nicht typischer SVP-Politiker» bezeichnet. Stört Sie dies oder hat es was Wahres?

Das liest man tatsächlich oft, stimmt so aber nicht. Ich bin seit fast 30 Jahren SVP-Mitglied aus Überzeugung und stehe zu unseren politischen Inhalten. Fakt ist, dass ich kommunikativ leiser sein mag als manche Parteikollegen. Aber dies war bestimmt mit ein Grund, wieso ich von meiner Fraktion für das Präsidialamt ins Rennen geschickt wurde. Dieses Amt bringt es mit sich, dass man eine gewisse Ruhe verbreitet. Und wäre ich tatsächlich «SVP-un­typisch», hätte ich bestimmt nicht das Vertrauen meiner Partei erhalten.

 

Bei einem Stichentscheid würden Sie aber gegen die SVP stimmen?

Wie bereits gesagt, sollte jeder so stimmen, wie er es für richtig hält. Doch es müsste eine sehr seltsame Abstimmung sein, dass ich nicht der Meinung meiner Partei bin. Aber man kann es drehen und wenden wie man will: Bei einem Stichentscheid ist natürlich die Hälfte des Saals sowieso nicht einverstanden, da muss man als Präsident zu seinem Entscheid stehen können.

 

Sie sind in Winterthur aufgewachsen. Inwiefern hat dies Ihr politisches Denken, Ihr politisches Handeln beeinflusst?

Winterthur hat mich bestimmt stark geprägt, habe ich hier doch meine ersten politischen Sporen verdient. Zudem hatte ich schon früh, dank der Vielfalt der Stadt, ein breites Erfahrungsfeld. So bin ich an der viel befahrenen Zürcherstrasse aufgewachsen, trainierte aber auch viel im nahen, ruhigen Wald, womit ich auf die Schönheiten, aber auch Probleme unterschiedlichster Bereiche aufmerksam wurde. Zudem verfügt Winterthur als Grossstadt natürlich auch über eine grosse Stadtverwaltung, die viele zen­trale Leistungen abdeckt, die auch national von Bedeutung sind.

 

Zum Thema Ausländerpolitik: Sie sind in Töss in die Primarschule gegangen, die Hälfte Ihrer Klasse bestand aus Ausländern. Wie hat Sie dieser Umstand geprägt?

Ich denke sehr gerne an diese Zeit zurück. Sie hat auch gezeigt, dass Inte­gration funktionieren kann. Und zwar wurden Regeln aufgestellt, an die sich alle zu halten hatten. Dies klappte ohne Probleme, und diese Erfahrungen lasse ich auch gerne bei Inte­grationsdiskussionen einfliessen. Wir müssen weg vom Schwarz-Weiss-Denken und stattdessen dafür sorgen, dass sich diejenigen, die hier sind, an unsere Regeln halten, dann wollen wir sie auch bestimmt nicht wegweisen. Dies heisst aber nicht, dass ich beim Thema Zuwanderung keine restriktive Meinung hätte. Die Schweiz leidet in den letzten Jahren diesbezüglich tatsächlich an einer Überdosis.

 

Die Behandlung welcher politischen Baustellen sind für Sie derzeit besonders wichtig?

Wir haben noch die Diskussion um die Altersreform abzuschliessen, ein wichtiges Thema, da es auch die künftigen Generationen entscheidend betrifft. Weiter offen ist die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative. Interessant wird auch, welche Nachfolgelösung Bundesrat Alain Berset dem Nationalrat zum Thema Ärztestopp präsentiert. Hier erwarten wir keinen parteipolitisch gefärbten Vorschlag, sondern einen, der den Mittelstand nicht weiter belastet.

 

Was wollen Sie im November 2017 über Ihr Amtsjahr sagen können?

Da fragen Sie mich bitte in 364 Tagen nochmals, ich bin erst seit einem Tag im Amt (lacht).