Zmorge mit …

 

Der Stahl-Arbeiter.

Unter der Woche reichts nur für einen Kaffee: Jürg Stahl gönnt sich dafür jeweils am Sonntag ein ausgiebiges Frühstück.


Seit einer Woche führt Nationalratspräsident Jürg Stahl wieder seine Ratsmitglieder durch die Session. Bevor er nach Bern reiste, besuchte die «Südostschweiz am Wochenende» den Politiker für die neue Serie «Zmorga mit ... » in Arosa.

Text: Denise Erni

 Südostschweiz am Wochenende: 4.März 2017

 

Ein Tag wie aus dem Bilderbuch. Weit und breit ist kein Wölkchen in Sicht. Mit seiner 15 Monate alten Tochter Valerie auf dem Arm öffnet Jürg Stahl (49) die Tür seiner Ferienwohnung in Arosa. Am Vortag ist der höchste Schweizer und Präsident von Swiss Olympic mit der Kleinen von seinem Wohnort in Brütten bei Winterthur mit dem Zug nach Arosa gereist. Mit dabei sind auch Valeries Götti Christian Grossenbacher und dessen Partnerin Karin jetzt mehr Musse habe, als wenn ich vor Arnold. «Meine Frau Sabine kommt heute Abend nach», sagt Stahl und setzt sich an den gedeckten Frühstückstisch - mit Eiern, Käse, Butter, Konfi und Gipfeli darauf. «Am Sonntag gehört ein ausgiebiges Frühstück dazu, unter der Woche reichts aber nur für einen Kafi», sagt der SVPPolitiker.

 

Herr Stahl, was sind Sie für ein Vater?

Jürg Stahl: Ein Jungvater im fortgeschrittenen Alter (lacht). Ich denke, dass ich jetzt mehr Musse habe, als wenn ich vor 20 Jahren Vater geworden wäre. Aber den Anspruch, ein perfekter Vater zu sein, habe ich nicht.

 

Viel Zeit werden Sie in diesem Jahr aber nicht für Ihre Tochter haben.

Es wird etwas weniger sein. Aber ich habe das Glück, dass ich die Agenda zu einem Teil selber bestimmen kann. Wenn ich abends an eine Veranstaltung gehe, dann bleibe ich am darauffolgenden Vormittag zu Hause und kümmere mich um Valerie. Ich geniesse die Zeit mit ihr sehr bewusst und kann dann auch gut das Handy beiseitelegen.

 

Stahl strahlt seine Tochter an, die gerade eine Banane verzehrt hat. Der 49-Jährige schneidet ein Stück Käse ab und nimmt einen Schluck Kaffee. Valerie ziehts indes mit ihrem Götti an die Aroser Sonne. Zum Abschied winkt sie wie eine kleine Königin. Stahl winkt zurück.

 

Er sei froh, dass Valerie noch so klein sei und das Aufsehen um seine Person nicht richtig mitbekomme, sagt er. «So bekommt sie keine Sonderbehandlung.» Und am 27. November sei sein Jahr als höchster Schweizer wieder vorbei. Seine Stärke sei das Unspektakuläre. Grosses Aufsehen um seine Person möge er nicht.

 

«Den Anspruch, ein perfekter Vater zu sein, habe ich nicht.»

 

Neben Ihrem Amt als Nationalratspräsident wurden Sie zeitgleich zum Präsidenten von Swiss Olympic gewählt, zudem arbeiten Sie bei der Groupe Mutuel. Steckt Ihre Frau Sabine zurück?

Meine Frau und ich haben alles miteinander besprochen. Es geht aber nur, wenn man Kompromisse eingeht. Ich war während der WM zum Beispiel in St. Moritz, wo ich mit Thomas Bach, dem Chef des IOC, frühstückte. Danach fuhr ich nach Hause, holte Valerie und fuhr mit ihr hierher. In einem anderen Fall hätte ich vielleicht noch das WM-Rennen in St. Moritz geschaut und wäre direkt nach Arosa gefahren. Es ist wirklich viel und manchmal auch wirklich schwierig für Sabine. Sie arbeitet auch weiterhin noch an zwei Tagen in der Woche.

 

Wer betreut Ihre Tochter, wenn Ihre Frau arbeitet?

Valerie ist dann in der Kita.

 

Müssen Sie sich nicht gegenüber Ihren Parteikollegen rechtfertigen? Die SVP wettert ja am meisten gegen die Fremdbetreuung.

Nein, überhaupt nicht. Die Politik macht ja vor allem eine Gretchenfrage daraus. In meiner Situation sind drei Personen involviert, und nur eine davon ist in einer Partei. Es gibt sicher den einen oder anderen, der sagt, das sei nicht parteikonform. Die sollen es dann anders machen. Es gibt für mich Dinge, die man in einer Partei aus Überzeugung vertreten kann. Aber es gibt auch Dinge im Leben, an die man zuerst herangehen und schauen muss, wie sie sind. Sowohl für Sabine als auch für Valerie stimmt es, und nur das zählt.

 

«Wir verbrachten die Sommer- und Winterferien in Churwalden und Klosters.»

 

Stahl ist als Sohn eines Drogisten in Winterthur aufgewachsen, 1996 übernahm er den elterlichen Betrieb. «Unsere Drogerie war damals unsere Kita», erzählt er. «Die Nachbarskinder waren oft bei uns im Geschäft. Und einmal ass man da und einmal dort.» Heute habe sich die Lust des Zusammenseins etwas verschoben. «Wir leben in einer anderen Zeit, die geprägt ist von einem gewissen Misstrauen. Man möchte das Kind nicht mehr einfach nur dem Nachbarn anvertrauen.» Man sei extrem vorsichtig geworden. «Wir müssen aber allgemein aufpassen, dass wir uns nicht von einer Vertrauensgesellschaft in eine Misstrauensgesellschaft verändern.»

 

Kurz nachdem Sie die Drogerie Ihres Vaters übernommen hatten, starb dieser 59-jährig am plötzlichen Herztod. Haben Sie bei Ihrem Arbeitspensum nicht Angst, dass Ihnen das auch widerfährt?

Ich lebe heute viel gesünder als noch vor sechs Jahren, habe zwölf Kilo weniger auf den Rippen. Aber natürlich schreckt man als direkter Nachkomme auf, wenn der Vater an einem Sekundenherztod stirbt. Das Paradoxe daran ist, mein Vater starb in dem Moment, als er zum ersten Mal fünf Wochen Ferien am Stück machen konnte. Als letztes Jahr mein gleichaltriger Jugendfreund und Cousin plötzlich verstarb, beschäftigte mich das fast mehr. Aber wir können auch nicht permanent in Angst leben. Um so wichtiger ist es, dass man ausgeglichen lebt und denen, die man liebt und gerne hat, Liebe und Zeit schenkt.

 

Mit Ihren Eltern fuhren Sie schon als Kind in die Bündner Berge in die Ferien.

Ja, wir verbrachten die Sommer- und Winterferien immer in Churwalden und Klosters. Die Skilager der Schule fanden jeweils in Obersaxen statt. Nach der Wahl in den Nationalrat hatte ich einige Jahre eine Wohnung in Davos. Seit sechs Jahren kommen wir nun nach Arosa. Meine Frau ist aber immer froh, wenn ein Holländer vor uns fährt, denn ihr wird ob der vielen Kurven immer übel (schmunzelt).

 

«Wir leben in einer Zeit, die geprägt ist von einem gewissen Misstrauen.»

 

Und Sie bleiben Graubünden trotz des zweiten Neins zu Olympia treu?

Ja, klar, warum sollte ich nicht? Natürlich war ich nach dem heftigen Nein enttäuscht, aber man muss das akzeptieren. Die Situation an diesem Abstimmungssonntag war aber etwas absurd. Ich war auch hier in Arosa, die Eishockey-Ladys qualifizierten sich für die nächsten Olympischen Winterspiele, und Beat Feuz wurde in St. Moritz Abfahrtsweltmeister. Eigentlich gaben die Sportler die Antwort auf dem Platz.

 

Wird Sion die Olympischen Spiele 2026 in die Schweiz holen?

Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, und mit dem Bündner Nein gab es einen Lackschaden. Vielleicht ists aber auch ein Warnschuss. Es liegt jetzt an uns, die olympischen Werte zu vermitteln. Nur weil einige die Olympischen Spiele wollen, müssen das noch nicht alle gut finden. Aber ich sehe es auch als Chance. Es werden ja die ersten Spiele sein, die nach der neuen IOC-Agenda 2020 realisiert werden, der Agenda der redimensionierten und sich an vorhandene Infrastrukturen orientierenden Spiele. Gerade bei solchen Anlässen hat die Schweiz Pioniercharakter. Sie würde wieder einmal am Anfang einer neuer Bewegung stehen. So wie damals in St. Moritz, als 1948 die ersten Spiele nach dem Zweiten Weltkrieg stattfanden. Es muss uns aber gelingen, ein Schweizer Ereignis daraus zu machen.

 

Inzwischen sind Valerie und ihr Götti wieder zurück. Die Kleine schläft. Stahl freut sich jetzt schon, bis er mit seiner Tochter - dem «Lumpebäseli», wie er sie nennt, - auf die Skipiste gehen kann. Dort tanke er nämlich Kraft und könne am besten vom Alltagsstress abschalten. «Das ist mein Wellnessbereich.» Auf 29 Skitage habe er es im letzten Jahr gebracht. «Heuer werden es kaum so viele», sagt er und lacht.

 

Zurück zur Politik in Bundesbern. Was sind eigentlich Ihre Ziele als höchster Schweizer?

Ich versuche, den Rat mit dem nötigen Fingerspitzengefühl zu leiten. Vieles ist geprägt von Fairness und Gleichbehandlung der Leute. Zudem möchte ich vorleben, wie wichtig die kleinsten Zahnrädchen für unser Land sind. Ich versuche deshalb, nicht nur an den grossen Ereignissen teilzunehmen, sondern bewusst auch einmal an eine kleinere Veranstal-tung zu gehen, die nicht so spektakulär ist, aber für das unmittelbare Umfeld sehr wichtig.

 

Letzte Frage:

Haben Sie ein sonntäg-liches Ritual?

Neben dem ausgiebigen Frühstück gehört, wenn ich daheim bin, der «Tatort» am Abend dazu. Zudem habe ich das Privileg, eine Sauna im Haus zu haben, und gönne mir jeweils am Sonntag ein, zwei Durchgänge.